Review: Irena Brežná. Die beste aller Welten. Berlin: Edition Ebersbach, 2008.

Sozialistisches Lebensgefühl: Aus dem Genre der Tragödie [1]

Irena Brežná. Die beste aller Welten. Berlin: Edition Ebersbach, 2008.

Der Roman Die beste aller Welten wurde von der slowakisch-schweizerischen Autorin Irena Brežná geschrieben und bezieht sich auf die 1950er und 1960er Jahre in der Tschechoslowakei. Die Stimme des Mädchens kommt aus jenem Abschnitt der Geschichte Europas, wo im östlichen Teil des Kontinents der offizielle Anspruch auf den Aufbau einer sozialistischen und daher gerechteren – Gesellschaft erhoben wurde als im Westen. Es spricht ein von ihr erschaffener Mensch.

 

Anhand von Brežnás Roman kann man zuverlässig die „pädagogische Herangehensweise“ der sowjetischen Ideologie studieren, ihre Logik und Inhalte sowie das ganze Weltbild, das sie im Kopf der „neuen Menschen“ entstehen lassen wollte. Dieses sozialistische Weltbild erkunden wir mit Hilfe eines Kindes, dessen Umgang mit der Welt der Erwachsenen vor allem aus Neugier besteht und das – wie viele Kinder – eine besondere Begabung für das Nachdenken über Träume hat. Wer, wenn nicht ein Kind, kann sich am besten mit einem utopischen Entwurf auseinandersetzen?

 

Die Wahrheit des kindlichen Bewusstseins ist die Methode bzw. das Instrument dieser literarischen Studie darüber, wie sich der Sozialismus „anfühlte“. Wir folgen der aufrichtigen Stimme des Mädchens, seinen kindlichen Auffassungen und direkten, furchtlosen Fragen an die Welt der Erwachsenen. Es deckt den leidenschaftlich ideologiegetränkten Heroismus des sowjetischen Lebens auf und steckt seinen mythischen Rahmen ab. Dieser Mythos erzählt von der Tragödie und ihren Helden, denn er erzählt von Kampf, Revolution und Krieg – und selbstloser Aufopferung. Doch das Mädchen liebt diesen Mythos und vertraut ihm, es fühlt sich darin geborgen – viel mehr als in der eigenen Familie. Ihre Gedankenwelt zeugt von einer eigenartigen Symbiose mit jenen utopischen Visionen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert wird. Sie übernimmt den humanistischen Impetus der herrschenden Idee. Sie vertraut dem Versprechen, dass der Kampf und seine Opfer eine gerechtere und somit glücklichere Welt näher rücken lassen und strebt solidarisch mit dem Mythos inbrünstig dieses bessere Leben an. Doch den verschiedensten Formen der Gewalt, die im Namen einer besseren Welt immer wieder neue Opfer sucht, stehen kindliche Neugier und Lebenslust gegenüber. Das Mädchen lernt, dass man mutig sein soll, und es zeigt seinen Mut, indem es immer wieder neue Fragen stellt.

 

Brežná zeichnet gekonnt die kindliche Lebenslust und die neugierige Leidenschaft für die Freiheit, mit denen sich das Mädchen in der sozialistischen Welt mit ihren tragischen Widersprüchen auseinandersetzt. Aber auf vielen Seiten des Buches spricht auch ein politisch völlig unberührter Mensch, ein gewöhnliches Kind mit allen seinen typischen Sorgen und Freuden. Das gab es in der sozialistischen Welt auch.

 

Review by Anna Schor-Tschudnowskaja (Sigmund Freud University, Vienna, Austria);  Edited by Larissa Rudova, with the author’s permission


 

[1]A full version of this review was published in Europäische Rundschau 3 (2009): 99-104.